Was bedeutet die Multifokalität eines Prostatakrebses für den Patienten und seine Behandlung

Das Prostatakarzinom (Prostatakrebs) ist weltweit der häufigste bösartige Tumor des Mannes. Allein in Deutschland erkranken jährlich etwa 70.000 Männer an einem Prostatakarzinom. In den USA sind es mehr als 250.000 Männer pro Jahr. Da das Prostatakarzinom zumeist einen nicht ganz so bösartigen Verlauf wie etwa der Lungenkrebs oder der Bauchspeicheldrüsenkrebs nimmt versterben jährlich in Deutschland „nur“ etwa 12.000 Männer an einem Prostatakarzinom. In den USA sind es 60.000 Männer jährlich.

Ein wahrscheinlich wichtiges Charakteristikum des Prostatakarzinoms, welches in seiner Relevanz für den Krankheitsverlauf jedoch derzeit noch nicht abschließend geklärt ist, ist die sogenannte Multifokalität des Prostatakarzinoms. Das bedeutet, das dass Karzinom sich an mehreren Stellen gleichzeitig (oder auch zeitlich versetzt) in der Prostata entwickelt. Aus vielen Untersuchungen weiß man, dass etwa 70% der Prostatakarzinome dieses multifokale Wachstum zeigen. Hinsichtlich der Relevanz für den Krankheitsverlauf des Patienten gibt es zum aktuellen Zeitpunkt die unterschiedlichsten Aussagen. Die Bandbreite reicht hier von unwichtig bis absolut relevant für den Krankheitsverlauf. Die Ungeklärtheit dieses wichtigen Tumorcharakteristikums hinsichtlich seiner Relevanz für den Krankheitsverlauf ist insofern bedauerlich, als das dieser Aspekt extrem wichtig für die Therapieplanung ist. Diesen Sachverhalt möchte ich Ihnen im folgenden Text erläutern.

Operative Maßnahmen (auch für lebensbedrohliche Erkrankungen wie Krebs) sind bei den meisten Patienten extrem gefürchtet. Dabei bezweifelt kaum ein Patient die Wirkung dieser operativen Therapie, jedoch sind die Nebenwirkungen und Komplikationen von Operationen zumeist angsteinflößend. Aufgrund der anatomischen Lage der Prostata tief im kleinen Becken in unmittelbarer Nähe zum Enddarm, zur Harnblase und in direkter Nachbarschaft zu dem Nervengeflecht welches für die Erektion des Penis verantwortlich ist, führt zu besonders gefürchteten Nebenwirkungs- und Komplikationsmöglichkeiten im Bereich Kontinenz (dem halten von Urin) und Erektion (der Versteifung des Penis). Aufgrund dieser die Lebensqualität stark beeinflussenden Problemfelder suchen viele Patienten nach anderen Therapieoptionen als der operative Entfernung der erkrankten Prostata.

Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat den Medizinern auch mehrere unterschiedliche nicht-operative Methoden zu lokalen Behandlung von Krebs und insbesondere auch Prostatakrebs geliefert. An erster Stelle ist hier sicherlich die Bestrahlungstherapie mit energiereicher Strahlung zu nennen. Bereits seit vielen Jahrzehnten wird der Prostatakrebs durch die Einstrahlung von Photonenstrahlung in die Prostata erfolgreich behandelt. Auch die direkte Applikation von kleinen Strahlenquellen in die Prostata (Brachytherapie) ist eine erfolgversprechende Therapieoption zur Behandlung von Prostatakrebs. Allerdings hat sich bei langfristiger Betrachtung der Behandlungsergebnisse gezeigt, das dass Nebenwirkungsspektrum diese Bestrahlungstherapien dem der Operation durchaus vergleichbar ist. Aufgrund dieser Tatsache hat sich die Medizintechnik auf die Suche nach weiteren lokalen Therapieoptionen welche, verglichen mit der Operation (und Bestrahlungstherapie), ein verbessertes Nebenwirkungsprofil aufzeigen gemacht. Es wurden unterschiedliche Therapiemöglichkeiten entwickelt, so beispielsweise die Kryotherapie (abtöten von Tumorzellen durch Unterkühlung unter -40°C), der Hochintensivierte Fokussierte Ultraschall (HIFU, abtöten von Tumorzellen durch Temperaturerhöhung über 70°C) und unlängst die Irreversibe Elektroporation (IRE, abtöten von Tumorzellen durch elektrisches Aufbrechen der Zellmembran).

Aktuell zeichnet sich mehr und mehr die Erkenntnis ab, dass weniger die Art der Beseitigung von (Tumor) gewebe für das Nebenwirkungsspektrum verantwortlich ist, als viel mehr die Ausdehnung der Maßnahme. Diese Erkenntnis hat bei vielen Tumorarten (z. B. beim Nierenkrebs oder beim Brustkarzinom der Frau) dazu geführt, dass nicht mehr das gesamte Organ entfernt oder andersartig behandelt wird, sondern eine Lokaltherapie des identifizierten Tumors unter Erhalt von möglichst viel Gewebe des betroffenen Organs vorgenommen wird – eine sogenannte „Fokale Therapie“.

Auch beim Prostatakarzinom halten fokale Therapieansätze, insbesondere mit der HIFU und der IRE, mehr und mehr Einzug. Bei der Fokaltherapie des Prostatakarzinoms begnügt man sich zumeist mit der Behandlung der sogenannten Indexläsion (der Hauptbefund oder auch größte Tumorherd in der Prostata) und vernachlässigt nicht bildlich darstellbare oder feingeweblich scheinbar ungefährliche Tumorläsionen. Und hier kommen wir auf den Ausgangspunkt, der ungeklärten Relevanz der Multifokalität des Prostatakarzinoms, zurück.

Vielleicht helfen uns die fokalen Therapieansätze eines Tages wirklich die gefürchteten Nebenwirkungen der Therapie des Prostatakarzinoms zu vermeiden, allerdings sollten bis zum definitiven Beweis der ausreichenden Wirkung dieser fokalen Therapien derartige Behandlungen nur innerhalb von kontrollierten Studien stattfinden. Jedem Patienten der sich einer Fokaltherapie des Prostatakarzinoms muss bewusst sein, dass er sich einer absolut experimentelle Therapie unterzieht, deren Nebenwirkungsprofil wahrscheinlich niedriger ist als das der operativen Entfernung der gesamten Prostata, deren Wirkung jedoch bisher nicht einwandfrei nachgewiesen ist.

Bei den Studien zur Fokaltherapie des Prostatakarzinoms muss unbedingt bei der Aufklärung der Patienten, sowie auch bei der Erhebung der wissenschaftlichen Daten auf die bisher ungeklärte Relevanz der Multifokalität des Prostatakarzinoms eingegangen werden.

Bei Fragen zu diesem Thema sprechen Sie mich bitte an.

Prof. Dr. med. Wolf-D. Beecken

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