Lebenserwartung von Patienten mit Prostatakrebs

Die Frage nach der Überlebenszeit oder nach den Heilungschancen ist zumeist die erste Frage die ein Patient mit einer Krebserkrankung seinem Arzt stellt. Viele Patienten reagieren verwundert, wenn der Arzt nicht mit einer kurzgefassten Antwort und einer genauen Zahl an Jahren reagiert. Häufig denken die Patienten in dieser Situation, dass der Arzt ihnen etwas vorenthalten oder ihnen nicht die Wahrheit erzählen will. Dabei ist die Frage nach der Überlebenszeit oder Heilungswahrscheinlichkeit bei einer Krebserkrankung immer ein vielschichtiges und individuell unterschiedliches Thema.

Viele, viele unterschiedliche Faktoren, welche Einfluss auf den Verlauf der Krebserkrankung haben, müssen bedacht und in die Abschätzung der Möglichkeiten einbezogen werden. Auch bei der genausten und mühevollsten Analyse sämtlicher Einflussgrößen kann die dann abgegebene Prognose vollkommen daneben liegen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass wir unsere Daten und unser Wissen aus großen Beobachtungs- und Behandlungsstudien beziehen. In die Ergebnisse dieser Studien sind die Daten tausender Patienten eingeflossen. Unter zur Hilfenahme statistischer Methoden werden anhand dieser großen Datensätze Wahrscheinlichkeiten berechnet. Dies sind aber eben nur Wahrscheinlichkeiten und was nützt es einem Patienten, wenn er als Individuum eine 95%ige Wahrscheinlichkeit hat von der Erkrankung geheilt zu werden und dann aber leider zu den verbleibenden 5% gehört, die eben nicht geheilt werden. Für das einzelne Individuum ist die eigene Situation immer 100%. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache sind die folgenden Ausführungen zu betrachten.

Die Lebenserwartung von Prostatakrebs Patienten hängt in erster Linie von der Ausbreitung (also dem Stadium) und den feingeweblichen Charakteristika (Histologie) des diagnostizierten Prostatakrebses ab. Handelt es sich um ein lokales (auf die Prostata begrenztes Karzinom) oder ist der Tumor bereits in die Lymphknoten, Knochen oder Leber metastasiert. Handelt es sich um ein feingeweblich weniger bösartig oder sehr aggressiv wirkenden Prostatakrebs. Bei der Einschätzung der Bösartigkeit des Prostatakarzinoms aufgrund feingeweblicher Charakteristika spielt der sogenannte Gleason Score des Tumors eine extrem wichtige Rolle. Donald F. Gleason war ein amerikanischer Pathologe, der sich die Prostata unter dem Mikroskop genau angeguckt hat. Die Prostata ist eine Drüse, die im Wesentlichen aus Drüsenschläuchen besteht. Gleason hat nun die normalen Drüsenschläuche einer gesunden Prostata mit den Drüsenschläuchen des Krebsgewebes in der Prostata verglichen. In seiner Klassifikation, welche er bereits in den 1960er und 1970er Jahren erarbeitete, legte Gleason fünf Gleason Grade fest, welche von eins nach fünf zunehmend bösartig veränderte Drüsenschläuche im Krebsgewebe beschreibt. Zusätzlich hat Gleason festgestellt, dass das Vorhandensein von bösartigen Graden von Drüsenschläuchen sich nicht immer gleichmäßig auf das Krebsgewebe verteilt. Er fand beispielsweise in einer Region des Tumors Grad 3 und in einer anderen Region desselben Tumors eher den Grad 4. Diesem Umstand trug Donald Gleason dadurch Rechnung, dass er vorschlug die beiden vorherrschenden Gleasongrade (Primärer und Sekundärer) in einem Gleasonscore zusammenzufassen. So kommt es in den Pathologieberichten zu der Gleasonformel, wie z. B. 3 + 3 = 6, für einen homogenen mit Gleasongrad 3 durchzogenen Tumor, oder 3 + 4 = 7 für einen mit mehr Gleasongrad 3 und weniger Gleasongrad 4 durchzogenen Tumor, oder 4 + 3 = 7 für einen mit viel Gleasongrad 4 und weniger Glaesongrad 3 durchzogenen Tumor. Die Definition der Gleason Einteilung hat sich in den letzten Jahren mehrfach verändert, sie zählt heute aber weiterhin zu den wichtigsten Prognosefaktoren des Prostatakarzinoms.

Auch klinische Faktoren, wie der Tastbefund der Prostata, der PSA (Prostata Spezifisches Antigen) Wert oder die Art der gewählten Therapie können für die Einschätzung der Prognose des Tumors herangezogen werden. Da die Verwendung mehrerer Faktoren immer eine genauere Einschätzung ermöglichen werden möglichst viele Daten die zu dem individuellen Tumor vorliegen in sogenannten Nomogrammen zusammengefasst und dann eine prozentuale Einschätzung einer bestimmten Überlebenswahrscheinlichkeit, z. B. 5-, 10- oder 15-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit gegeben. Die bekanntesten Nomogramme dieser Art wurden von Michael Kattan vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York entwickelt. Anhand dieser Nomogramme kann man zu nahezu jeder Situation seine Überlebenswahrscheinlichkeit berechnen. Allerdings sollte man das oben gesagte immer im Kopf behalten. Kattan ist Biostatistiker und die Aussagen dieser Nomogramme sind immer statistische Aussagen.

Im Internet kann man diese Nomogramme aufrufen und für seine eigenen Daten ausfüllen (https://www.mskcc.org/nomograms/prostate) . So kann man beispielweise mit dem Pre-Radical Prostatectomy Nomogram seine 10- und 15- Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit vor Durchführung einer Radikaloperation der Prostata berechnen.

Diese wäre beispielsweise:

Hormontherapie vor der Operation? Nein

Bestrahlungstherapie vor der Operation? Nein

Wie alt sind sie? 57 Jahre

PSA Wert vor Prostatabiopsie? 11 ng/ml

Primärer Gleasongrad in der Biopsie? 3

Sekundärer Gleasongrad in der Biopsie 4

Gleasonscore 7

Klinisches Tumorstadium nach AJCC 7/2010 T1c

Wie viele der entnommenen Biopsien zeigten Karzinom 3

Wie viele der entnommenen Biospien zeigten kein Karzinom 9

Wieviel % der entnommenen Proben zeigten Karzinom 25%

Basierend auf diesen Daten errechnet sich ein krebsspezifisches 10- und 15- Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit von 99% und 99%.

Hat nun die Prostataoperation stattgefunden und man hat genauere Daten zu dem Tumor (Histologie). So kann man das Post-Prostatektomy Nomogramm zur weiteren Einschätzung der eigenen Situation benutzen.

Beispielsweise:

Hormontherapie vor der Operation? Nein

Bestrahlungstherapie vor der Operation? Nein

PSA Wert vor Prostatabiopsie? 11 ng/ml

Wie alt waren sie bei Operation? 57 Jahre

Wie viele Monate sind seit der Op vergangen? 2

Primärer Gleasongrad in dem Op Präparat? 3

Sekundärer Gleasongrad in dem Op Präparat? 4

Gleasonscore 7

Sind die Absätzungsränder der Prostata tumorfrei gewesen? Ja

Wurde Tumorwachstum außerhalb der Prostata gefunden? Nein

Wurde Tumorwachstum in den Samenblasen gefunden? Nein

Wurde Tumorwachstum in den Lymphknoten gefunden? Nein

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Ergebnisse der Operation in diesem Fall nicht von den Ergebnissen der Biopsien abgewichen sind (was nicht immer so sein muss). Dementsprechend ändert sich bei der Berechnung mit diesen Daten auch die 15-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit von 99% nicht.

Finden wir jetzt entgegen der Biopsieergebnisse einen Gleasonscore von 4 + 3 = 7 und zusätzlich einen krebsbefallenen Lymphknoten, so ändert sich die 15-Jahresüberlebenswahrscheinlichkeit auf 98%.

Anhand der Kattan-Nomogramme kann man seine eigene Überlebnswahrscheinlichkeit und andere Charakteristika für nahezu jede Situation der Krebserkrankung errechnen. Nicht unerwähnt soll allerdings auch bleiben, dass obwohl ein Patient an einem Prostatakarzinom leidet, dieses nicht unbedingt seine Lebenszeit-limitierende Erkrankung sein muss. Sekundärerkrankungen, wie beispielsweise ein Bluthochdruck oder ein Diabetes mellitus gehen je nach Schwere und Therapieerfolg ebenfalls mit einer Einschränkung der Lebenserwartung einher und können das Überleben eines Patienten viel wesentlicher beeinflussen als das Prostatakarzinom. Daher sollte die individuelle Situation des Patienten unter besonderer Berücksichtigung der Sekundärerkrankungen unbedingt zur Planung der Therapie des Prostatakarzinoms herangezogen werden.

Prof. Dr. med. Wolf-D. Beecken

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