Die fokale Therapie des Prostatakarzinoms mit besonderer Wertung der Irreversiblen Elektroporation (IRE, Nanoknife)

Die fokale Therapie des Prostatakarzinoms mit besonderer Wertung der Irreversiblen Elektroporation (IRE, Nanoknife) – wo stehen wir 2016

Es herrscht mal wieder Unruhe in der Urologie. Gefühlt passiert das alle fünf bis zehn Jahre. Es geht um die Therapie von Prostatakrebs. Schließlich ist die Prostata (Vorsteherdrüse) das urologische Zentral-Organ schlechthin und der Prostatakrebs der häufigste bösartige Tumor des älteren Mannes. Jeder Urologe, der etwas auf sich hält, beherrscht die Diagnostik und die Therapie des Prostatakarzinoms. Dieser Tumor wird an allen großen Krebsforschungszentren dieser Welt mit maximalem Aufwand untersucht. So ist es nur allzu gut nachvollziehbar, dass es immer wieder Fortschritte insbesondere auch in der Diagnostik und Behandlung des Prostatakarzinoms gibt: Zahlreiche neue Laborwerte (Marker), die sich am Prostataspezifischen Antigen (PSA) messen lassen müssen, vielversprechende neue bildgebende Methoden, wie die Elastographie (Härtegraddarstellung) oder das multiparametrische MRT (Kernspintomographie) und natürlich auch neue Therapieverfahren, wie die Kryotherapie (Vereisung) und der hochintensive fokussierte Ultraschall (HIFU), wurden in den letzten Jahrzehnten identifiziert.

Da die bewährten und herkömmlichen Therapieverfahren des Prostatakarzinoms, die Bestrahlungstherapie und die operative Entfernung der Prostata (Radikalentfernung der Prostata) eine exzellente und damit nur schwer zu übertreffende lokale Wirkung und Tumorkontrolle entfalten, geht es bei neuen Therapieverfahren in erster Linie um die Reduktion oder Vermeidung der befürchteten Nebenwirkungen der Standardmethoden, nämlich des unwillkürlichen Urinverlusts (Inkontinenz) und der Beeinträchtigung der Gliedversteifung (Erektile Dysfunktion, ED).

Nachdem sich in den vergangenen 20 Jahren neue Therapieverfahren, die regelmäßig mit großer Aufmerksamkeit in den Medien, dem Auftreten neuer Experten und der Einrichtung selbsternannter Spezialtherapiezentren einhergingen, entweder wegen unterlegener Wirkung oder dann doch mit den Standardmethoden vergleichbarer Nebenwirkungen in die Reihe der erweiterten Therapieoptionen eingereiht haben, gab es vor einigen Jahren in der Diagnostik des heimtückischen Tumors einen wirklichen Durchbruch – das multiparametrische MRT.

Mit dieser ausgeklügelten und sich permanent weiter verbessernden Methode gelingt es häufig, Karzinomverdächtige Auffälligkeiten (sogenannte Läsionen) in der Prostata zu identifizieren. Da sich MRT-gesteuerte Biopsieverfahren (Gewebeprobeentname während der MRT-Untersuchung) jedoch nicht durchsetzen konnten, findet heute in großen Kliniken und modernen Praxen eine sogenannte Ultraschallgesteuerte Fusionsbiopsie (Überlagerung bzw. Verschmelzung von MRT-Bildern und dreidimensionalen Ultraschalldaten) zur verbesserten Diagnosestellung des Prostatakarzinoms statt.

Diese deutlich verbesserte Darstellung des Tumors hat unmittelbar die bereits seit Jahren schwelende Diskussion um die sogenannte „Fokale Therapie“ des Prostatakarzinoms angefacht. Bei den leitliniengerechten Standardverfahren wird jeweils die gesamte Prostata durch Strahlen zerstört oder durch die Operation entfernt. Bei der Fokalen Therapie versucht man, die Behandlung auf den Tumorbefund in der Prostata zu beschränken und verzichtet auf die Behandlung des Gesamtorgans. Im Zentrum der Bemühungen um eine fokale Therapie steht insbesondere wieder die Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen. Leider werden die aus Patientensicht extrem wichtigen Diskussionen um Kollateralschäden der Behandlung in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Medien (Presse und Internet) nicht objektiv geführt. Nachvollziehbarer Weise fragen Betroffene, die mit verschiedenen Therapiemöglichkeiten konfrontiert werden, zumeist nach den Nebenwirkungen einer Therapie. Hierbei gehen Laien davon aus, dass eine Behandlungsmethode, die angeboten werden darf, auf jeden Fall eine 100%ige Wirkung im Sinne der Tumorvernichtung hat. Also müssten die Betroffenen nur noch das nebenwirkungsärmste Therapieverfahren finden. Daß dies aber ein Trugschluss ist, soll am Beispiel der Fokaltherapie aufgezeigt werden.

Es ist logisch, daß der Erfolg einer Fokaltherapie mit der absolut zuverlässigen Identifikation des Tumors und seiner Ausdehnung in einem betroffenen Organ steht oder fällt. Wie oben beschrieben, ist es mit der mpMRT in erfahrenen Händen möglich, die sogenannte Indexläsion (in der Regel der größte von mehreren Tumoren) darzustellen. Die gezielte Biopsie dieser Indexläsion über die Ultraschallgesteuerte Fusionsbiopsie führt dann häufig zum Nachweis des Karzinoms der Prostata. Dies ist für eine Radikaltherapie (komplette Zerstörung oder Entfernung der Prostata) vollkommen ausreichend. Für eine Fokaltherapie liegt die Sache allerdings ganz anders. Hier müssen sämtliche Tumorherde in der Prostata identifizieren werden. Aus vielen feingeweblichen Untersuchungen von entfernten Vorsteherdrüsen weiß man, dass das Prostatakarzinom sehr häufig multilokal – also an unterschiedlichen Stellen der Prostata gleichzeitig - wächst. Dies ist für die Fokaltherapie extrem wichtig, da man in dieser Situation alle Tumorherde in der Prostata behandeln muss. Bevor eine gezielte Biopsie von Prostatakarzinomen anhand der mpMRT (im Rahmen der Ultraschallgesteuerten Fusionsbiopsie) in der Prostata möglich war, wurden sogenannte randomisierte Biopsien der Prostata durchgeführt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass man systematische, aber ungezielte Biopsien nach einen gewissen Muster (Anzahl und Ort der Probenentnahmen) aus der äußeren Zone der Prostata (dort wachsen 70% aller Krebse) entnommen hat in der Hofnung, das Karzinom damit zu identifizieren. In der Phase des Übergangs von randomisierter (dem Zufallsprinzip folgender) zu gezielter (Fusionsgesteuerter) Biopsie (in der wir uns gerade befinden) wird in der Regel eine Kombination aus gezielten (aus die Indexläsion im MRT) sowie randomisierten Proben aus der Prostata entnommen. Hierbei zeigt sich in grossen, in der wissenschaftlichen Fachliteratur veröffentlichten Biopsieserien und in der eigenen Erfahrung vielfach eine Tumorbildung über die Indexläsion hinaus auch an anderen Stellen der Prostata. Unter Urologen gibt es derzeit eine kontroverse Diskussion über die klinische Bedeutung dieser zusätzlichen Tumorherde in der Prostata. Das eine Lager meint, diese Tumorherde seien relevant und müssten behandelt werden; daher sei eine Fokaltherapie (zumindest solange nicht sämtliche Herde in der Prostata sicher identifiziert werden können) nicht vertretbar. Das andere Lager hält diese zusätzlichen Herde im Hinblick auf den Behandlungserfolg für irrelevant und hält daher eine Fokaltherapie für möglich und gerechtfertigt. Diese Diskussion hält an und eine abschließende, seriöse Klärung dieser Frage ist kurzfristig nicht zu erwarten. Insofern ist die Wirkung eine fokalen Therapiemaßnahme beim Prostatakarzinom zum aktuellen Zeitpunkt nicht sicher einzuschätzen. Um sich einer Fokaltherapie zu unterziehen, muss man um diese Unklarheit wissen und sich nach gewissenhafter Abwägung der vorliegenden Daten für das Lager der Gruppe entscheiden, das die Behandlung der Indexläsion für ausreichend erachtet.

Eine ganz andere Frage ist die tatsächliche Vermeidung bzw. Reduktion der Nebenwirkungen durch eine fokale Therapiemaßnahme. Die Strukturen, deren Beeinträchtigung die Nebenwirkungen der Standardverfahren auslösen, nämlich der Harnröhrenschließmuskel und die für die Erektion ‚zuständigen’ Gefäßnervenbündel, liegen zwar dicht an der Prostata, jedoch nicht innerhalb der Prostata selbst. Bei der konventionellen Operation und der Bestrahlung werden diese Strukturen bestmöglich geschont. Trotzdem ist es klinische Realität, dass es in einem gewissen Prozentsatz der Behandlungen zu Beschädigung der genannten Strukturen kommt. Dieser Prozentsatz ist definitiv von der Expertise der behandelnden Klinik abhängig. Bei fokaltherapeutischen Ansätzen, wie sie bereits seit längerem zur Anwendung kommen (Hochfokussierter Ultraschall, Kryotherapie), ist der Erfolg von der zielgenauen Applikation der Therapie abhängig. Wird das für die Erektion zuständige Gefäßnervenbündel im Falle von HIFU auf 60°C erhitzt oder im Falle der Kryotherapie auf -40°C eingefroren, sind die Nervenzellen zerstört und eine Erektion ist auf natürlichem Wege nicht mehr möglich. Selbiges gilt natürlich auch für den Harnröhrenschließmuskel und die Kontinenz. Neuere Veröffentlichung zeigen bezüglich dieser thermischen Therapieverfahren eine schlechtere Begrenzung der verabreichten Wärme/Kälte, also der zerstörenden Energie, als primär (während der Hype-Phase dieser Therapieverfahren) erwartet. Auch bei diesen Therapieoptionen hat die Erfahrung des Therapeuten einen ganz wesentlichen Einfluss auf das Nebenwirkungs- und Komplikations-Risiko haben.

Aber das Rad dreht sich weiter. Die Medizin wäre keine Wissenschaft, wenn sie nicht immer wieder neue Ansätze der Krebstherapie (auch des Prostatakarzinoms) hervorbrächte. So rührt die oben beschriebene, aktuelle Unruhe in der Urologie von einer neuen fokalen Therapiemethode, der sogenannten IRE – Irreversiblen Elektroporation - oder etwas Mediengriffiger Nanoknife™ her. Bei diesem Therapieverfahren kommt es durch die Anlage gepulster elektrischer Felder zur Schädigung der Zellhaut und damit verbunden zum Untergang der Zelle. Wie so oft ist das eigentliche Verfahren nicht neu; so wird die IRE bereits seit vielen Jahren in der Lebensmittelindustrie zum Abtöten von Keimen auf Nahrungsmitteln verwendet. Das eigentlich Neue bei dem Verfahren ist lediglich, dass lebendes Gewebe behandelt und der verabreichte Strom durch aufwendige mathematische Modelle so berechnet wird, dass es nicht zu einer schädigenden Wärmeentwicklung innerhalb des elektrischen Feldes kommt, sondern durch den angelegten Strom ausschließlich die Struktur der Zellmembran geschädigt wird (daher auch die Bezeichnung der molekularen Selektivität der Behandlung oder NTIRE – non-thermal irreversible electroporation). Die ersten Veröffentlichungen zu dem Thema der Gewebezerstörung mittels IRE stammen aus dem Jahre 2005, die ersten veröffentlichten Versuche bezüglich der Tumorzerstörungen mittels IRE aus dem Jahre 2007. Erste Dokumentationen von IRE-Behandlung von Patienten mit Prostatakarzinom wurden im Jahre 2010 veröffentlicht (Behandlung von 16 Patienten). Seit 2010 wurden mehrere Arbeiten mit jeweils sehr kleinen Patientenkollektiven veröffentlicht, welche verschiedene Aspekte der IRE beim Prostatakarzinom untersuchten. Die Studienlage sieht aktuell folgendermaßen aus:

1. Die IRE ist in der Lage, normales Gewebe und auch Tumorgewebe im Bereich der elektrischen Felder zu zerstören.

2. Zwischen der Größe der berechneten elektrischen Felder und den in einer Studie gezeigten abgetöteten Arealen besteht eine deutliche Diskrepanz. Das abgetötete Areal ist etwa 2,7 mal größer als das berechnete Areal des Stromflusses. In der entsprechenden Studie lagen aufgrund dieser Abweichungen bei 13 von 15 Patienten die für eine Erektion erforderlichen Gefäßnervenbündel im zerstörten Bereich. Bei drei der untersuchten Patienten in dieser Studie zeigte sich unerwarteter Weise ein nur sehr kleines Areal von Gewebezerstörung.

3. Die Grenzlinie (am Rand der elektrischen Felder) verläuft sehr scharf und es gibt innerhalb der elektrischen Felder keine ausgesparten Bereiche, welche keine Abtötung von Gewebe zeigen.

4. Hinsichtlich der Anzahl der zu verwendenden Elektroden gibt es noch Unsicherheiten. In einer Arbeit zeigte sich beim Gebrauch von zwei Elektroden keinerlei Gewebewirkung. In einer anderen Arbeit zeigte sich bei der Anwendung von zwei Elektroden eine gute Gewebewirkung. Bei Anwendung von mindestens drei Elektroden zeigte sich in allen Arbeiten eine Gewebewirkung.

Im Oktober 2011 erhielt das NanoKnife™-System der US-amerikanischen Firma AngioDynamics™ von den zuständigen Behörden (FDA) die Zulassung für die chirurgische Zerstörung von weichem Gewebe (510(k) Nummer: K080376). Die FDA-Zulassung gilt dabei nicht für die Behandlung einer spezifischen Tumorart oder eines bestimmten Organs. Aufgrund der spärlichen Datenlage sind sämtliche Tumorbehandlungen zum aktuellen Zeitpunkt als experimentell einzustufen.

Derzeit gibt es nur eine einzige offizielle Studie zur Behandlung des Prostatakarzinoms durch IRE bzw. mit dem NanoKnife™ (Multi-Center Randomized Clinical Trial Irreversible Electroporation for the Ablation of Localized Prostate Cancer (NCT01835977)). Im Rahmen dieser Studie sollen 200 Patienten mit lokalisierten Prostatakarzinom mit der IRE bzw. dem NanoKnife™ behandelt werden. Die Studie wurde im Juni 2015 begonnen und soll voraussichtlich bis zum Juni 2019 laufen (Ende der Aufnahme von Patienten voraussichtlich Juni 2018). Finanziert wird die Studie vom Clinical Research Office of the Endourological Society. Der Studienleiter ist Prof. Jean de la Rosette von der Universität Amsterdam (Tel.: 0031 20 5666030).

Studienzentren in Deutschland sind:

Zusammenfassend muss zu allen Therapieverfahren mit fokalem Ansatz festgestellt werden, dass die Bedeutung zusätzlicher, nicht behandelter Krebsherde in der Prostata (Multifokalität des Prostatakarzinoms) bisher nicht geklärt ist. Die bereits seit längerem benutzten fokalen Therapieverfahren wie Kryotherapie und HIFU haben sich bisher nicht flächendeckend durchgesetzt. Das neue Therapieverfahren der IRE ist zwar in der Lage bösartiges Gewebe zu zerstören. Über das Nebenwirkunsprofil können bisher allerdings nur äußerst limitierte Aussagen aus kleinen Behandlungsstudien gemacht werden. Über den langfristigen Tumoreffekt kann derzeit noch keinerlei seriöse Aussage gemacht werden. Die oben genannte multizentrische Studie zur IRE des Prostatakarzinoms sollte in 2020 erste belastbare Daten zu diesem neuen Therapieverfahren liefern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte IRE ausschließlich kontrolliert und im Rahmen seriöser wissenschaftlicher Studien durchgeführt werden.

Ein unabdingbares Charakteristikum einer experimentellen Studienbehandlung ist die Kostenneutralität für die behandelten Personen. Diese Patienten stellen sich und ihre Behandlung im Angesicht einer schweren Erkrankung in den Dienst der Wissenschaft und damit anderer Patienten. Die Patienten müssen ausdrücklichen auf den experimentellen Charakter der Behandlung hingewiesen werden. Es ist zu fordern, dass die experimentelle Behandlung zu keinerlei Kosten für die Patienten führt.

Wenn Sie noch Fragen zu dem Thema haben, sprechen Sie mich bitte an.

Prof. Dr. med. Wolf-D. Beecken

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