Den Einstieg schaffen: Vorsorge als Chance

Den Einstieg schaffen: Vorsorge als Chance

Unheilbarer Prostatakrebs. Immer öfter wird zu spät gehandelt – der Preis für die Kampagnen gegen den PSA-Test und das Schüren von Angst.
Inzwischen ist aber klar: der Krebstest muss rehabilitiert werden. Diesen dramatischen Appell verfasste nicht etwa ein Urologe, sondern Journalistin Martina Lenzen-Schulte unter dem Titel ‚Kampf gegen Prostatakrebs: Die schlechten Ratgeber des Mannes’ am 9.11.2016 in der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Nr. 262, Rubrik Natur und Wissenschaft, S. N1). Auf der gleichen Seite erschien ein zweiter Artikel mit gleicher Aussage unter der Überschrift ‚Böse Zungen’. Inzwischen weiss man nämlich, dass die auch hierzulande gerne zitierte Empfehlung einer US-amerikanischen ‚Task Force, auf eine Bestimmung des PSA-Werts zu verzichten, auf einer schlecht gemachten amerikanischen Studie basieren und wahrscheinlich viele Menschen das Leben gekostet haben. Auf einem der größten Krebskongresse überhaupt wurde eingeräumt, dass man‚ das Kind mit dem Bade ausgeschüttet habe. Durch eine Verzicht auf PSA-gestützte Krebsfrüherkennung hat man zwar erfreulicherweise die unerwünschte Überbehandlung reduziert, man hat allerdings auch die Therapie definitiv behandlungsbedürftiger Patienten verhindert. Gut gemachte und inzwischen ausreichend lang laufende Studien aus Europa zeigen, daß die PSA-gestützte Krebsfrüherkennung anderen Krebsfrüherkennungsmaßnahmen (bei Brust- und Darmkrebs) nicht nachsteht.

Dabei werden in der Diskussion gerne unterschiedliche Begriffe benutzt, Vorsorge, Krebsfrüherkennung und Screening. Der Begriff Screening ist zwar in aller Munde, allerdings fällt es selbst dem Medizinstudenten oft schwer, im Staatsexamen eine klare Definition zu nennen. Dabei ist es so einfach: Screening bedeutet nichts anderes als‚ Fahnden nach asymptomatischen Erkrankungen, Erkrankungen also, die zwar gefährlich sind, dem Betroffenen aber keinerlei Beschwerden bereiten. Das macht bei näherer Betrachtung natürlich nur dann Sinn, wenn die so entdeckte Erkrankung behandelbar und – im Idealfall – mit schonenden Methoden heilbar ist. Beim Prostatakarzinom trifft das in der Regel zu: Acht von 10 betroffenen Patienten können inzwischen geheilt werden. Prostatakrebs ist der häufigste bösartige Tumor des älteren Mannes mit zirka 63.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland. Damit hat der Tumor eine grosse und in unserer alternden Gesellschaft stetig wachsende gesundheitspolitische und wirtschaftliche Bedeutung. Diagnostiziert man den Tumor in einem frühen Stadium (sogenanntes lokal begrenztes Prostatakarzinom), steht eine ganze Reihe von gut verträglichen Therapien zur Verfügung. Das Spektrum reicht von einem kontrollierten Zuwarten (Active Surveillance) über die komplette Entfernung der Prostata (radikale Prostatektomie) über einen Unterbauch- oder Dammschnitt, mit und ohne Unterstützung durch einen Operationsroboter, verschiedene Bestrahlungsformen bis hin zur experimentellen Methoden, die nach einhelliger Meinung führender Experten gegenwärtig ausschließlich in wissenschaftlichen Studien (und damit für den Patienten kostenfrei) an seriösen Zentren vorgenommen werden sollten (fokale Therapie). Der Schlüssel zur Heilung liegt eindeutig in der Früherkennung. Dort, wo sie konsequent und systematisch umgesetzt und betrieben wird, sind fortgeschrittene, unheilbare Erkrankungsstadien fast völlig verschwunden, so wurden in Tirol in einer inzwischen schon klassischen Untersuchung Patienten mit den gefürchteten Absiedlungen des Prostatakarzinoms im Knochensystem kaum noch gesehen. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei der in den Medien regelmäßig und vor allem im Sommerloch erwähnte PSA-Test. Spätestens seitdem Norman Schwarzkopf, hochdekorierter und populärer US-Gweneral im ersten Golfkrieg, seine Erfahrungen als Patient mit Prostatakrebs in einem amerikanischen Nachrichtenmagazin öffentlich gemacht hat, sagte man, dass jeder amerikanische Manager seinen PSA-Wert kenne. Das Prostataspezifische Antigen (PSA) ist ein Eiweiss, das ausschließlich in der Vorsteherdrüse gebildet und zuverlässig im Blut bestimmt werden kann. Ist der Blutspiegel erhöht, kann dies auf einen bösartigen Tumor hinweisen. Allerdings sollte der Wert nie für sich allein betrachtet werden, sondern muss mit anderen Informationen- dem Volumen der Drüse, dem Tastbefund, dem Alter der Patienten, seiner Familiengeschichte und anderen Faktoren – in Beziehung gesetzt werden. Besteht in der Zusammenschau aller Befunde Tumorverdacht, wird den hochwertigen (S3) Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften folgend in der Regel zu einer ultraschallgesteuerten Gewebeprobe aus der Prostata geraten. Diese Maßnahme wird in den allermeisten Fällen ambulant vorgenommen und gut vertragen.

Leider nimmt hierzulande nur ein Bruchteil aller vorsorgeberechtiger Männer die Chance auf eine Früherkennung wahr. Woran liegt das?

Es besteht zweifellos eine Hemmschwelle aus Angst, Unsicherheit und einer teilweise verwirrenden Informationsflut in den klassischen Medien und im Internet. Nicht selten sind es die Ehefrauen bzw. Partnerinnen, die die Initiative ergreifen, den Vorsorgetermin beim Urologen vereinbaren und ihre Männer begleiten. Männer fürchten erfahrungsgemäß zweierlei: unangenehme Untersuchungen über sich ergehen lassen zu müssen (wie das Abtasten der Prostata durch den Enddarm) und die Entdeckung einer bösartigen Erkrankung, deren Behandlung möglicherweise mit unwillkürlichem Urinverlust (inkontinenz) und dem Verlust der Erektionsfähigkeit (Impotenz) einhergeht. Diesen Ängsten kann man am besten und wirkungsvollsten durch eine realistische und umfassende Aufklärung begegnen. Ist die erste Hürde genommen und der Einstieg in die Vorsorge geschafft, kann aus Erfahrung festgestellt werden, dass die Erleichterung bei unauffälligen Befunden eine kurze Unannehmlichkeit bei weitem überwiegt. Weiss man erst einmal, was auf einen zukommt, fallen dann auch die jährlichen Wiederholungsuntersuchungen viel leichter. Wird ein Tumor entdeckt, sind die Aussichten auf Ausheilung im frühen Stadium exzellent. Dies gilt umso mehr, als sowohl die strahlentherapeutischen als auch die operativen Verfahren im Laufe der Zeit zunehmend verfeinert wurden, um bei einer radikalen Therapie des Tumors vor allem die Lebensqualität der Patienten und ihrer Partnerinnen zu wahren. So werden heute immer dann, wenn es die Tumorausdehnung erlaubt, die für eine Erektion auf natürlichem Wege notwendigen und unmittelbar an der Prostatakapsel verlaufenden Blutgefäß- und Nervenbündel sorgfältig geschont. Auf diesem Wege können langfristig hervorragende Ergebnisse mit Tumorfreiheit (onkologischer Aspekt) einerseits und erhaltener oder wiedererlangter Kontinenz und Potenz erzielt werden. Vorsorge ist in diesem Zusammenhang nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sie schafft in aller erster Linie Sicherheit, Wissen uns – in letzter Konsequenz – Lebensqualität im Alter.

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